DIE LETTOW-VORBECK-ALLEE
An nur wenigen Orten in Hannover wird der Rückbezug auf die Kolonialzeit so deutlich wie im sogenannten Badenstedter ‚Afrika-Viertel‘. Dort existieren nicht nur Straßen, wie der Togo-Weg und die Ostafrika-Straße, die nach ehemaligen Kolonien benannt wurden, sondern auch solche, welche die Namen von Kolonialpolitikern tragen. Ein Beispiel hierfür ist die Lettow-Vorbeck-Allee, welche 1937 angelegt und nach dem Generalmajor Paul von Lettow-Vorbeck (1870-1964) benannt wurde.1
Lettow-Vorbeck wurde 1870 in Saarlouis geboren und entstammt einer alten preußischen Adelsfamilie, in der viele Männer eine Militärkarriere einschlugen. So absolvierte auch Paul von Lettow-Vorbeck eine militärische Ausbildung und meldete sich im Juli 1900 freiwillig zum Expeditionskorps, welches mit der Niederschlagung des sogenannten Boxer-Aufstandes beauftragt worden war. Über Lettow-Vorbecks Zeit in China ist allerdings nur wenig bekannt. Von 1904 bis 1908 war er am Krieg gegen die Nama und Herero im heutigen Namibia beteiligt. Als erster Adjutant von Oberbefehlshaber Lothar von Trotha war er für die operative Planung der Schlacht am Waterberg verantwortlich. In einem Gutachten zu Lettow-Vorbecks Rolle im Krieg kommt der Historiker Helmut Bley zu folgendem Urteil:
„Die Vernichtungsschlacht, die auch L-V [Lettow-Vorbeck] befürwortete, war so angelegt, dass bei dem dann tatsächlich erfolgten Ausbruch den Herero nur der Weg durch die Wüste blieb, in der sie u. a. unter Besetzung der Wasserstellen durch die verfolgenden deutschen Truppen und durch Suchkommandos bis auf die Kerngruppe um Oberhäuptling Samuel Maharero, der mit ca. 2 000 von 16 000 Menschen nach Botswana, damals Britisch Bechuanaland floh, vernichtet wurden. L-V hat sich an dieser Verfolgung beteiligt.“2
Lettow-Vorbeck rechtfertigte das Vorgehen gegen die Herero und Nama, das inzwischen nicht nur von vielen Historiker:innen, sondern auch von der deutschen und namibischen Regierung offiziell als Völkermord eingeordnet wird, auch viele Jahre später noch.
Obwohl Lettow-Vorbeck für seinen Einsatz im damaligen Deutsch-Südwestafrika im Kaiserreich große Anerkennung erfuhr, erfolgte die gewünschte Beförderung erst 1913. Kaiser Wilhelm II. übertrug ihm den Oberbefehl über die Schutztruppen in Kamerun und schließlich den über Deutsch-Ostafrika. Kurz darauf begann der Erste Weltkrieg, in dem Lettow-Vorbeck mit seiner Schutztruppe, die zum großen Teil aus afrikanischen Soldaten und Hilfstruppen bestand, die unter weißen Offizieren kämpfen musste, einen Guerillakrieg führte, der sich zwar gegen die britischen, belgischen und portugiesischen Truppen richtete, aber unter dem vor allem die lokale Bevölkerung litt. In den Gebieten der heutigen Staaten Tansania, Mosambik und Sambia zerstörten und plünderten Lettow-Vorbeck und seine Truppen zahlreiche Dörfer und Felder.
„Teil der Taktik war, nach hinhaltenden Gefechten sich zurückzuziehen und Dörfer und Nahrungsmittel auf dem Rückzug zu vernichten, um den Alliierten die Nahrungsbasis zu entziehen und sie von der Versorgung aus Übersee abhängig zu machen.“3
Nach heutigen Schätzungen sollen bei diesem rücksichtslosen Vorgehen bis zu 300.000 Menschen, die nicht an den Kampfhandlungen beteiligt waren, zu Tode gekommen sein. In anderen Quellen wird sogar von insgesamt 700.000 Toten gesprochen.4
Als Lettow Vorbeck 1919 gemeinsam mit 120 (von 3000) weißen Soldaten zurück nach Berlin kam, inszenierte er sich als ‚im Felde unbesiegter‘ Feldherr und baute rund um sich und seine afrikanischen Soldaten der Schutztruppe das Bild der „treuen Askari“ auf.5
Zurück in Deutschland befehligte Lettow-Vorbeck auch im Inland gewalttätige Auseinandersetzungen, wie etwa die Niederschlagung der Hamburger Sülze-Unruhen. 1920 war Lettow-Vorbeck außerdem beim sogenannten Kapp-Putsch beteiligt, bei dem einige ranghohe Generäle gegen die Republik putschten. Bei beiden militärischen Eingriffen kamen unter direkter Verantwortung von Lettow-Vorbeck einige Dutzend Menschen zu Tode. Lettow-Vorbeck steht also auch für die personellen Kontinuitäten zwischen gewalttätiger Kolonialherrschaft und rechtem Terror in der Weimarer Republik. Auch während der NS-Zeit, in der Hitler ihn zum General beförderte, und in der jungen Bundesrepublik warb Lettow-Vorbeck für die Wiedererlangung der Kolonien. Der Mythos des ‚unbesiegten Frontsoldaten‘ hielt sich bis lange nach seinem Tod 1964. So wurden etwa bis 1990 Gedenkfeiern zu Ehren der Schutztruppe abgehalten.6
Nach Paul von Lettow-Vorbeck wurden sowohl während der NS-Zeit als auch in der Bundesrepublik zahlreiche Straßen, Schulen und Kasernen benannt. Die Lettow-Vorbeck-Allee in Hannover erhielt 1937 während der Zeit des Nationalsozialismus ihren Namen.7
Als Hannover im Jahr 2007 der Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus beitrat, forderte die Fraktion der Linken im Bezirksrat Ahlem-Badenstedt, Straßen, die nach Rassist:innen benannt waren, umzubenennen. Die Linke setzte sich daher für eine Umbenennung in ‚Jakobus-Morenga-Allee‘ ein.8 Morenga, ein wichtiger Anführer der Herero und Nama, war 1907 durch einen deutsch-britischen Angriff zu Tode gekommen.9 Nach vielen Diskussionen und zwei Urteilen verschiedener Verwaltungsgerichte, die entschieden, dass der Bezirksrat dazu berechtigt sei, Straßen umzubenennen, beschloss dieser schließlich die Umbenennung in Namibia-Allee. Dieser Vorschlag setzte sich bei den Anwohner:innen gegenüber den Vorschlägen durch, die Straße nach Miriam Makeba oder Anita Augspurg zu benennen.10
Zur Umbenennung kam es allerdings erst 2014, weil gegen ein vom Afrikahistoriker Prof. Dr. Helmut Bley erstelltes Gutachten, welches im Auftrag der Stadt Hannover die Hintergründe zu Paul von Lettow-Vorbeck untersuchte, gerichtlich vorgegangen wurde. Die Tochter des Generalmajors hatte auf ‚Verunglimpfung und falsche Tatsachenbehauptung‘11 geklagt. Das Gericht entschied allerdings mithilfe mehrerer Gutachter:innen, dass Bleys Gutachten keine Verunglimpfungen enthalte. Bley kommt in seinem Gutachten zu folgendem Fazit:
„Insgesamt ist festzustellen, dass Lettow-Vorbeck persönlich an Kriegs- und Menschenrechts-Verbrechen in Afrika und Deutschland, wahrscheinlich auch in China beteiligt war. In seinen Memoiren bekennt er sich zu allen Exzessen noch 1957, auch wenn er sie mit Euphemismen wie „Härte“, „äußerte Schärfe“ oder „Durchgreifen“ etc. abzuschwächen versucht oder mit Schweigen übergeht.“12
von Malin Kleuker
1 Vgl. Zimmermann, Helmut (1992): Die Straßennamen der Landeshauptstadt Hannover. Hannover: Hahn, S. 159.
2 Bley, Helmut (2009): Gutachten über Paul von Lettow-Vorbeck. Das Gutachten wurde im Auftrag der Landeshauptstadt Hannover 2008 erstellt, S. 176.
3 Ebd., S.179.
4 Vgl. Morgenrath, Birgit (DLF) (2014): Korrektur eines zweifelhaften Heldenepos. Deutschlandfunk.
5 Vgl. Michels, Stefanie (2009): Schwarze deutsche Kolonialsoldaten. Bielefeld: transcript Verlag.
6 Vgl. Morgenrath: (2014).
7 Ebd.
8 Vgl. Seidel, Siegfried (DAS LINKSBÜNDNIS) (2007): Umbenennung der Lettow-Vorbeck-Alllee in Jakobus-Morenga-Allee. Antrag im Stadtbezirksrat Ahlem-Badenstedt-Davenstedt. Hannover.
9
de.wikipedia.org/wiki/Jakobus_Morenga.
10 Vgl. Schulze, Siegfried (SPD Fraktion im Bezirksrat Ahlem-Badenstedt-Davenstedt) (2007): Anlage 2 zur Beschlussdrucksache Nr. 1591/2009. SPD Fraktion im Bezirksrat Ahlem-Badenstedt-Davenstedt.
11 Vgl. Morgenrath (2014).
12 Bley (2009), S. 172.
Quellen und Links
Printquellen:
Baer, Martin; Schröter, Olaf (2001): Eine Kopfjagd. Deutsche in Ostafrika. Spuren kolonialer Herrschaft. 1. Aufl. Berlin: Links (Schlaglichter der Kolonialgeschichte).
Bezirksrat Ahlem-Badenstedt-Davenstedt: Erläuterungen Namensvorschläge. Anlage 4 zur Beschlussdrucksache Nr. 1591/2009. Bezirksrat Ahlem-Badenstedt-Davenstedt. Online verfügbar unter e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/1591-2009, zuletzt geprüft am 11.01.2021.
Bley, Helmut (2009): Gutachten über Paul von Lettow-Vorbeck. Das Gutachten wurde im Auftrag der Landeshauptstadt Hannover 2008 erstellt.
Hannoversche Allgemeine Zeitung (2011): Streit um Straßennamen in Hannover landet vor Gericht. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 02.03.2011. Online verfügbar unter www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Streit-um-Strassennamen-in-Hannover-landet-vor-Gericht, zuletzt geprüft am 29.10.2021.
Knödler, Gernot (TAZ) (2013): Heldentaten vor Gericht. Das Amtsgericht Hannover spricht einen Gutachter von dem Vorwurf frei, das Andenken des Kolonialhelden Paul von Lettow-Vorbeck verunglimpft zu haben. In: taz, 18.12.2013. Online verfügbar unter taz.de/Kolonialist-Lettow-Vorbeck/!5052373/, zuletzt geprüft am 11.01.2021.
Lettow-Vorbeck, Paul von; Lettow-Vorbeck, Ursula von (Hg.) (1957): Mein Leben. Biberach an der Riss: Koehler.
Meding, Conrad von (HAZ) (2011): Lettow-Vorbeck-Allee in Hannover darf umbenannt werden. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 03.03.2011. Online verfügbar unter www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Lettow-Vorbeck-Allee-in-Hannover-darf-umbenannt-werden, zuletzt geprüft am 11.01.2021.
Meding, Conrad von (HAZ) (2013): Generalmajor im Zwielicht. Streit um von Lettow-Vorbeck. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 22.12.2013. Online verfügbar unter www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Amtsgericht-bestaetigt-Gutachten-zu-Generalmajor-Paul-Emil-von-Lettow-Vorbeck-ist-keine-Fehlleistung, zuletzt geprüft am 29.10.2021.
Meding, Conrad von (HAZ) (2015): Anzeige gegen Hannovers OB Weil wegen Rufmordes. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 06.10.2015. Online verfügbar unter www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Anzeige-gegen-Hannovers-OB-Weil-wegen-Rufmordes, zuletzt geprüft am 29.10.2021.
Meise, Rüdiger (HAZ) (2013): Der „Löwe von Afrika“ verschwindet von der Stadtkarte. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 02.11.2013. Online verfügbar unter www.haz.de/Hannover/Aus-den-Stadtteilen/West/Badenstedt-Lettow-Vorbeck-Allee-wird-umbenannt, zuletzt geprüft am 11.01.2021. [bitte Abstand zum vorangehenden Titel]
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Internetquellen: