Koloniale Spuren in Hannover – Einleitung zum studentischen Forschungsprojekt
Als die Webseite koloniale-spuren.de im Jahr 2004 erstmalig online ging, befasste sich die Geschichtswissenschaft erst seit wenigen Jahren intensiver mit der deutschen Kolonialgeschichte. Dass auch Städte wie Hannover Teil dieser Kolonialgeschichte waren, obwohl sie weder zu den Zentren des kolonialen Warenhandels zählten (wie Hamburg oder Bremen) noch Sitz der Kolonialverwaltung waren (wie Berlin), mag seinerzeit viele noch verwundert haben. Das studentische Forschungsprojekt, unter der Leitung von Inga-Dorothee Rost, M.A., konnte mit dem Webauftritt jedoch zeigen, wie lebendig, vielgestaltig und aktuell koloniale Verflechtungen auch in Hannover zu Tage traten. So war die niedersächsische Landeshauptstadt beispielsweise durch personelle Vertreter:innen mit dem deutschen kolonialen Projekt eng verbunden. Zu den bekanntesten hannoverschen Kolonialakteur:innen zählte Rudolf von Bennigsen jun., der ab 1893 die einflussreiche Position des leitenden Finanzdirektors in der Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ übernahm und 1899 Gouverneur in „Deutsch-Neuguinea“ wurde. Weniger bekannt sind hingegen die hannoverschen Soldaten, welche sich am Krieg gegen die Herero und Nama im heutigen Namibia beteiligten. Neben den personellen Verbindungen existierte auch eine koloniale Populärkultur, wie sie beispielsweise in den fünf Völkerschauen zum Ausdruck kam, die zwischen 1879 und 1886 im Zoologischen Garten stattfanden. Darüber hinaus betrieben verschiedene lokale Vereine, Initiativen und Akteur:innen in Hannover eine aktive Kolonialpropaganda, wie etwa Stadtdirektor Heinrich Tramm, auf den unter anderem die Benennung des Karl-Peters-Platzes 1916 zurückgeht.1 Auch hannoversche Firmen, wie beispielsweise Bahlsen und Continental, profitierten vom Rohstoffabbau in Kolonialgebieten.
Darüber hinaus machte das studentische Forschungsprojekt deutlich, dass die kolonialen Bezüge in Hannover nicht mit dem offiziellen Ende der deutschen Kolonialherrschaft im Jahr 1919 verschwunden sind. Im Gegenteil, die kolonialrevisionistischen Initiativen in der Weimarer Republik und danach waren teilweise aktiver als die zivilgesellschaftliche Beteiligung während der deutschen Kolonialzeit – ein Phänomen, das keineswegs nur auf Hannover zutrifft.2 Insbesondere während des Nationalsozialismus erlebte der deutsche Kolonialismus ein Revival als Bezugspunkt der lokalen städtischen Erinnerungskultur. Diverse Straßennamen und Denkmäler zur Ehrung kolonialer Akteur:innen gehen auf die NS-Zeit zurück. Doch auch noch in den 1950er und 1960er Jahren ehrte die Stadtverwaltung den ehemaligen deutschen Kolonialbesitz durch entsprechende Benennungen der Straßen im Badenstedter „Afrika-Viertel“.3
Die kolonialen Spuren manifestieren sich schließlich auch in den städtischen Auseinandersetzungen um das postkoloniale Erbe, die bis heute lebendig und kontrovers geführt werden. In den 1970er Jahren äußerten erstmalig zivilgesellschaftliche Initiativen, wie das Chile-Solidaritätskomitee, Kritik an den Ehrungen kolonialer Akteur:innen durch Denkmäler und Straßennamen. Nach langen und zähen Auseinandersetzungen erreichte beispielsweise das Friedensforum Südstadt im Jahr 1988, dass eine Mahntafel am Carl-Peters-Denkmal angebracht wurde; 1994 erwirkte die Initiative zusätzlich die Umbenennung des Karl-Peters-Platzes in Bertha-von-Suttner-Platz.4 Seit Ende 2020 steht das Waldersee-Denkmal ebenso wie die nach Alfred von Waldersee benannte Straße zunehmend in der Kritik. Und auch die Frage, ob das Carl-Peters-Denkmal erhalten bleiben, abgerissen oder umgestaltet werden soll, wird erneut diskutiert.5 Diese öffentlichen Debatten geben nicht zuletzt interessante Einblicke in das politische Selbstverständnis und die Positionierung der hannoverschen Öffentlichkeit angesichts des kolonialen Unrechts.
Im Sommersemester 2021 und im Wintersemester 2021/22 wurde die Erforschung der lokalen Kolonialgeschichte in Hannover wiederbelebt. Erneut nahm sich ein studentisches Forschungsprojekt der Thematik an, dieses Mal unter der Leitung von Prof. Dr. Brigitte Reinwald (Professur für Afrikanische Geschichte) und Jana Otto, M.A. (Wissenschaftliche Mitarbeiterin). Die bereits zuvor behandelten Themenfelder – die kolonialgeschichtlich relevanten Akteur:innen sowie erinnerungskulturell relevante Aspekte wie Kolonialdenkmäler und Straßennamen – wurden dabei um zusätzliche Informationen ergänzt, aber auch um neue Themen und Perspektiven erweitert. Unsere Webseite verstehen wir als ein work in progress. Das heißt, wir werden am Projekt auch zukünftig weiterarbeiten und somit die (post-)koloniale Geschichte Hannovers um neue Aspekte bereichern. Dabei sollen als nächstes die Lebengeschichten von Migrant:innen, die aus den damaligen Kolonien nach Hannover kamen, im Zentrum stehen wie auch der heutige Umgang mit der (deutschen) Kolonialvergangenheit in afrikanischen Staaten.
von Jana Otto
1 Für die Person Carl Peters übernehmen wir in allen Texten die Schreibweise mit „C“. Den Straßennamen schreiben wir hingegen so, wie er in Hannover geschrieben wurde, also mit „K“.
2 Vgl. Inga-Dorothee Rost: Das koloniale Hannover, in: Ulrich van der Heyden/Joachim Zeller (Hg.): Kolonialismus hierzulande: Eine Spurensuche in Deutschland. Erfurt: Sutton Verlag 2007, S. 34-39.
3 Vgl. Karin Dunse: Spuren Deutscher Kolonialgeschichte im öffentlichen Raum – Am Beispiel Hannovers, in: Leo Kreutzer/David Simo: Weltengarten. Deutsch-afrikanisches Jahrbuch für Interkulturelles Denken. Hannover 2004, S. 175-188, hier: S. 184.
4 Vgl. Dunse: Spuren deutscher Kolonialgeschichte, S. 182.
5 Vgl. u.a.: Kristin Häfemeier: Abreißen oder nicht? Streit um Carl-Peters-Denkmal in Hannover, URL: https://www.ndr.de/kultur/Carl-Peters-Denkmal-in-Hannover-Der-Stein-des-Anstosses,carlpetersdenkmal106.html [Stand: 09.07.2021, 6:00 Uhr]; Michael Trammer: Zu viel der Ehre. Kolonialverbrecher aus Hannover, in: taz, 30.6.2021, URL: https://taz.de/Kolonialverbrecher-aus-Hannover/!5779237/; Simon Benne: Debatte um Denkmal und Straße: Was wird aus „Weltmarschall“ Waldersee?, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 13.12.2020.