WILHELM ARNING
Wilhelm Arning, der langjährige Direktor der Kolonialschule Witzenhausen, ist – anders als etwa Carl Peters, Paul von Lettow-Vorbeck oder Lothar von Trotha – heutzutage in der deutschen Öffentlichkeit kaum noch bekannt. Dabei lohnt eine geschichtswissenschaftliche Betrachtung seiner Person durchaus: Zu Lebzeiten war Arning ein öffentlich exponierter, nachdrücklicher und in kolonialaffinen Kreisen hochangesehener Verfechter eines offensiven deutschen Kolonialismus, der nach dem Ende der faktischen deutschen Kolonialherrschaft zu einem Protagonisten der kolonialrevisionistischen Bewegung wurde. Seine kolonialrevisionistischen Aktivitäten setzte Arning auch unter dem nationalsozialistischen Regime fort, dem er ideologisch nahestand. Er steht damit exemplarisch für die personellen Kontinuitäten zwischen der Kolonialbewegung des Kaiserreichs, dem Kolonialrevisionismus in der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Kolonialpropaganda.
Heinrich Friedrich Wilhelm Arning wurde am 20.12.1865 in Hannover-Linden geboren. Nach Abschluss seiner Schullaufbahn studierte er in verschiedenen deutschen Städten zunächst Rechtswissenschaften und dann Medizin, worin er 1892 promovierte. Kurz darauf reiste er erstmals ins damalige Deutsch-Ostafrika, wo er als Stabsarzt der dortigen „Schutztruppe“ bis 1896 Militärdienst leistete – die letzten beiden Jahre unter Hermann von Wißmann als Gouverneur. Der dortige Aufenthalt hinterließ einen bleibenden Eindruck bei ihm, so dass er im Laufe seines Lebens noch mehrmals nach Ostafrika zurückkehrte und einen großen Teil seines schriftstellerischen Schaffens – neben vielen Aufsätzen auch zwei umfangreiche Monographien – der seiner Auffassung nach wertvollsten deutschen Kolonie widmete.
Arning war Zeit seines Lebens zutiefst von der Notwendigkeit zur Kolonisation und dem deutschen Recht auf selbige überzeugt. So vertrat er die Auffassung, dass die Deutschen in Europa das „Volk ohne Raum“ seien und daher gar nicht anders könnten, als Kolonialpolitik zu betreiben, da ihnen ansonsten der Untergang bevorstehe. Diese Argumentation, die auch Kernelement nationalsozialistischer Propaganda wurde, vertrat Arning bereits lange vor 1933. Während der Phase aktiver deutscher Kolonialherrschaft setzte er sich als Mitglied des Reichstages auf der politischen Ebene unter anderem vehement dafür ein, Marokko zur Siedlungskolonie des Deutschen Reiches zu machen. Arning hatte Marokko 1911 bereist und war vor Ort mitten in die politischen Ereignisse der sogenannten Zweiten Marokko-Krise1 geraten, die er als Augenzeuge und Akteur genauestens verfolgte. Arning nutzte die Kontakte in der Nationalliberalen Partei (NLP), deren Mitglied er war. Mittels eindringlicher Briefe an Ernst Bassermann, den Vorsitzenden der Nationalliberalen Partei und zugleich deren Fraktionsvorsitzender im Reichstag, versuchte Arning auf den Ausgang der diplomatischen Krise Einfluss zu nehmen. Sein Ziel war es, die deutsche Kontrolle über Marokko zu sichern – ein Vorhaben, mit dem er letztlich scheiterte.
Im Sommer 1914 begab sich Arning anlässlich der Eröffnung der Tanganjika-Bahn zum dritten Mal nach Deutsch-Ostafrika, das er just zu Kriegsausbruch erreichte. Dort meldete er sich freiwillig und diente unter General von Lettow-Vorbeck als Sanitätsoffizier, bis er 1917 in britische Kriegsgefangenschaft geriet. Den Ostafrika-Feldzug verklärte er Zeit seines Lebens in mehreren Vorträgen und Aufsätzen mit nationalistischem Pathos als beispielhaft und heroisch, so dass er dergestalt emsig an Schaffung und Tradierung des bekannten Mythos‘ um Lettow-Vorbeck und dessen vermeintlich „im Felde unbesiegten Heer“ mitwirkte.
Einige Jahre nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft (1919) nahm Arning erneut eine parlamentarische Tätigkeit auf, obwohl er die Weimarer Republik und deren parlamentarisches System nach eigener Aussage verachtete. Zunächst wurde er 1922 als Stellvertreter in den Preußischen Staatsrat gewählt, später war er Teil der Fraktion „Arbeitsgemeinschaft“ im Hannoverschen Provinziallandtag, da die NLP sich in der Zwischenzeit aufgelöst hatte.
Nach seiner Berufung zum Direktor der Kolonialschule Witzenhausen im Jahr 1927 schied Arning aus dem Provinziallandtag aus. In Witzenhausen dozierte der studierte Mediziner ausgiebig über allgemeine und deutsche Kolonialpolitik insbesondere in Afrika, die Geschichte der Kolonisation sowie über „Rasse und Kultur“. Zu einem Zeitpunkt, zu dem Deutschland bereits seit fast einem Jahrzehnt keine Kolonien mehr besaß, war Arnings Unterricht nicht nur darauf ausgerichtet, die Erinnerung an die deutschen Kolonien lebendig zu halten, sondern auch darauf, das theoretisch Erlernte praktisch anzuwenden. Dem lag die Vorstellung zugrunde, dass Deutschland über kurz oder lang erneut Kolonien erobern und beherrschen werde. Hieran richtete sich nicht nur Arnings Unterricht aus, sondern die gesamte Schulpolitik der Kolonialschule.
Dementsprechend versäumte Arning es nicht, wo immer es ihm möglich war und passend erschien, auf die vermeintlichen zivilisatorischen Verdienste und Errungenschaften deutscher kolonialer Tätigkeit hinzuweisen – nicht selten in Verbindung mit emphatischer Zurückweisung der sog. „Kolonialschuldlüge“ und zugleich den „Raub der Kolonien“ durch die Siegermächte des Ersten Weltkriegs im Zuge des „Schanddiktat[s] von Versailles“2 anprangernd, während er in agitatorischer Manier den Spieß umzudrehen versuchte und im Gegenzug unter anderem Großbritannien und Belgien Unfähigkeit zur Kolonisation vorwarf.
Nachdem Arning 1933 die Leitung der Kolonialschule abgegeben hatte und in den Ruhestand getreten war, wurde er im darauffolgenden Jahr in den Vorstand der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG) berufen. Im gleichen Jahr unternahm er eine weitere und gleichsam seine letzte Reise ins nunmehr ehemalige Deutsch-Ostafrika. Auf dieser Reise war er bemüht, sich ein Bild von den damaligen dortigen Zuständen zu machen, in Vorbereitung seines letzten umfangreichen Buches „Deutsch-Ostafrika Gestern und Heute“, an dem er in den Folgejahren im Auftrag der DKG und des Reichskolonialbundes (RKB) arbeitete. 1936 wurde es in Berlin im Rahmen der Schriftenreihe „Deutsche Kolonialpolitik“ des RKB publiziert und in kolonialaffinen Kreisen breit beworben und rezipiert. Parallel zu den Arbeiten an dem Buch und mehr noch in den Jahren bis Kriegsausbruch weitete Arning seine Vortragstätigkeit in verschiedenen deutschen Städten aus und verfasste zahlreiche Essays für Publikationen der organisierten kolonialrevisionistischen Bewegung und andere Organe, die sich vornehmlich mit außen- bzw. kolonialpolitischen Themen auseinandersetzen.
Mit dem Aufstieg und der Herrschaft der nationalsozialistischen Partei verband Arning große Hoffnungen auf die Rückeroberung der alten Kolonien, insbesondere in Afrika. Wenngleich er nicht als fanatischer Eiferer der NS-Ideologie in Erscheinung trat und eine Mitgliedschaft in der NSDAP bislang nicht nachgewiesen werden konnte, finden sich in seinem Nachlass doch viele Belege dafür, dass Arnings Auffassungen in wesentlichen Punkten mit der nationalsozialistischen Ideologie übereinstimmten. So war er beispielsweise Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Frontsoldaten Bunds.3 Bisweilen erscheint er gar als ein geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus, so beispielsweise in Bezug auf die nationalsozialistische „Lebensraum“-Ideologie. Darüber hinaus gab Arning sich als Anhänger von „Rassenlehre“ und „Herrenmenschentum“ sowie als Befürworter von „Eugenik“ und „Euthanasie“ zu erkennen.4 Desgleichen beteiligte er sich an antisemitischer Hetze, indem er in verschiedenen Vorlesungen vor und nach Beginn des NS-Regimes anti-jüdische Ressentiments und Klischees bediente. Ein weiteres ideologisches Bindeglied zum deutschen Faschismus war Arnings Antikommunismus. So wetterte er gegen die „marxistische Seuche“5 und schob den „innenpolitische[n] Zerfall“ Italiens nach dem Ersten Weltkrieg dem Erstarken des Marxismus in die Schuhe, der einzig mithilfe Mussolinis „starker Hand“6 hätte aufgehalten werden können.
Bei Kriegsbeginn meldete sich der inzwischen fast 75-jährige Arning erneut freiwillig und diente bis Ende 1940 als Truppenarzt beim Wehrbezirkskommando Hannover I. Zur gleichen Zeit führte Arning bis etwa Mitte 1941 außerdem einen zähen Kampf um die Veröffentlichung der zweiten Auflage von „Deutsch-Ostafrika Gestern und Heute“, die sich aufgrund eines zu jener Zeit herrschenden Papiermangels sowie damit einhergehenden bürokratischen Schwierigkeiten um knapp zwei Jahre verzögerte. In dieser Zeit wandte er sich zugleich erfolglos gegen seinen Ausschluss aus dem „Reichsverband deutscher Schriftsteller“. Dieser war mit der Begründung erfolgt, dass jemand, der sich nur des Schreibens über koloniale Angelegenheiten befleißige, nicht als Schriftsteller zu gelten habe.7 Ein Vorgang, den Arning mit Befremden zur Kenntnis nahm.
Am 11.11.1943 verstarb Wilhelm Arning unerwartet im Alter von 77 Jahren in Hannover.
von Eike König
1 Die sogenannte Zweite Marokko-Krise bezeichnet einen Konflikt zwischen den europäischen Kolonialmächten, vor allem zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich, um Einflusszonen auf dem afrikanischen Kontinent. Durch militärische Drohgebärden vor der Küste Marokkos bewegte die deutsche Reichsregierung Frankreich dazu, Teile Kameruns an das Deutsche Reich abzutreten. Im Gegenzug verzichtete das Deutsche Reich auf seine Ansprüche in Marokko. Vgl. Streisand 1976, Deutsche Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, S. 234 f.
2 SUB Göttingen, Cod. Ms. W. Arning 7:6, Bl. 34, Vorlesungsmanuskript “Allgemeine Kolonialpolitik”, WS 1930/31).
3 SUB Göttingen, Cod. Ms. W. Arning 16:1, Bl. 4, Urkunde über die Verleihung des Diensteintrittsabzeichens.
4 SUB Göttingen, Cod. Ms. W. Arning 8:1, Bl. 123-131, 144, 220 ff., 235, 237, 259 ff., 269 ff. u. 322 ff. u.a. (Vorlesungsmanuskript „Rasse und Kultur“, WS 1229/30 u. SoSe 1933).
5 SUB Göttingen, Cod. Ms. W. Arning 8:1, Bl. 299 (Vorlesungsmanuskript “Rasse und Kultur”, WS 1929/30 u. SoSe 1933).
6 SUB Göttingen, Cod. Ms. W. Arning 7:5, Bl. 70 (Vorlesungsmanuskript “Allgemeine Kolonialpolitik”, SoSe 1930).
7 SUB Göttingen, Cod. Ms. W. Arning 4:3, Bl. 48-49 (Arning an das Auswärtige Amt, 2. September 1941).